Wider dem durchgecoachten Wahnsinn
Da sitzt er, das Ergebnis des modernen Coaching, mir gegenüber. Der Anzug perfekt geschnitten, die Frisur wie vorgegeben. Die Details stimmen. Beide Mundwinkel auf gleicher Höhe, Zahnarztlächeln. Wir wollen heute gemeinsam den Projektstart besprechen. Im Besprechungsraum herrscht Stille. Mein Gegenüber atmet kontrolliert. Dann setzt er an. Mit sanfter, melodiöser Stimme beginnt er den Auftrag vorzutragen. Die Hände stellen sauber eine Raute dar. Ausschließlich die Fingerspitzen berühren sich. Etwas sehr weiß sind sie. Ich vermute er hat das Kapitel des entspannten Auftretens noch nicht gelesen. Ich schaue auf die Uhr, zwei Minuten. Er spult noch immer ab. Und ich versuche dran zu bleiben. Er klingt wie ein Tonband. Er redet viel von Milestones, Targets und Maximum Value. Ich schaue auf seinen Brustkorb, er hebt und senkt sich im Takt seiner Worte. Jede Wendung wird dramatisch betont und mit passender Mimik unterlegt. Der Global View ist ihm wichtig. Wir sind ein ein Team. Von Problemen spricht er nicht, er sieht nur Herausforderungen für uns. Sein Monolog plätschert weiter vor sich hin. Liest er aus einem Ratgeber vor? Kommt mal was über den Kunden oder nur noch mehr Managertermini? Drei Minuten, was will er eigentlich von mir? Das Ganze beginnt mich allmählich zu langweilen. Draußen regnet es. Hat der Kunde überhaupt eine Bedeutung, redet er auch so mit ihm? Und da will der Kunde trotzdem noch zu uns? Soll ich den Auftrag jetzt mit ebenbürtiger Inhaltslosigkeitkeit erledigen, kann ich das überhaupt?
Meine Langeweile schlägt um in Ungeduld. Ich möchte aufspringen, ihn schütteln und schauen ob er wirklich ein Mensch ist. Sehen, ob neben dem Geschwätz noch Inhalt, noch Feuer ist, wenigstens ein kleines. Ich vermute einen ununterbrochenen Fortgang seines Vortrages.
Die Hände bilden weiterhin eine Raute. Ist ihm der Auftrag egal? Was denkt er, welchen Eindruck das hinterlassen soll?
Nun denn, ich greife die Projektmappe. Da steht ja alles drin.
Ich arbeite gerne mit Robotern. Beim nächsten Mal hätte ich trotzdem gerne einen Menschen. Einen echten, mit Leidenschaft und Feuer für Kunden und Aufträge. Einen, der für seinen Job brennt und keinen Durchgecoachten.